Tolle Sache: Der Schachfuchs Louis Nopper ist zur Zeit für zwei Monate als Schachtrainer an einer chinesischen Schachschule. Er schildert uns hier seine ersten Eindrücke.
Ankommen und Ort
1. In welcher Stadt bzw. welchem Ort bist du gerade?
Ich bin in der Stadt Bengbu (蚌埠) in der Provinz Anhui.
2. Wie würdest du diesen Ort beschreiben?
Bengbu ist eine mittelgroße Stadt für chinesische Verhältnisse und hat meines Wissens nach etwa 1 Million Einwohner. Viel Tourismus gibt es hier aber nicht.
3. Was war dein erster Eindruck, als du angekommen bist?
Ich war ziemlich beeindruckt von der Größe von der, wie die Chinesen selber sagen, „kleinen“ Stadt. Viele Straßen mitten in der Stadt sind 2- oder 3-spurig, überall fahren Motorräder und Roller herum und es gibt praktisch ausschließlich Hochhäuser. Gerade den letzten Punkt ist man ja so nicht aus Deutschland gewohnt. Ich beispielsweise lebe in einer Wohnung im 26. Stock, aber mein Wohnhaus gleicht den anderen drum herum sehr. Es fällt in gewisser Weise gar nicht auf, dass das Gebäude so hoch ist.
4. Gab es in den ersten Tagen ein Erlebnis, das dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Tatsächlich war schon die Zugfahrt vom Flughafen in Shanghai bis nach Bengbu ein interessantes Erlebnis. Die Kontrollen fürs Zugfahren waren ziemlich strikt, so wurde beispielsweise beim Betreten das Gepäck aller, wie an einem Flughafen, durchleuchtet und statt eines normalen Tickets musste ich meinen Reisepass vorzeigen und scannen lassen. Der Bahnhof in Shanghai sah von der Größe eher aus wie ein Flughafen, kam mir also auch unglaublich groß vor.
Schachschule und Training
5. Wie heißt die Schachschule, an der du bist, und wie sieht sie aus?
Ich bin bei der Bengbu Schachakademie (蚌埠棋园), und der Leiter der Schachakademie hat mich eingeladen herzukommen. Die Schachakademie hat praktisch jeden Tag Trainingstermine und verfügt, wie ich erfahren habe, über 10 verschiedene Trainingsorte über Bengbu verteilt. Außerdem machen die Trainer auch Training in Kindergärten und Schulen, um die Kinder ans Schach heranzuführen. Es ist für mich schwer abzuschätzen, wie viele Trainer die Schachschule beschäftigt, aber ich würde etwa 20 bis 30 Lehrer schätzen.
6. Welche Atmosphäre herrscht dort?
Bevor ich nach China kam, hatte ich etwas Sorge, wie wohl der Umgang mit den Kindern sein wird, aber es stellt sich heraus, dass der Umgang sehr ähnlich zu Deutschland ist. Während dem Training gibt es auch einzelne Kinder, die gerne Unsinn machen, das ignorieren die Trainer aber häufig und nur manchmal wird dem Kind eine Ansage gemacht. Ich hab’s aber bis jetzt eigentlich nie als unverhältnismäßig empfunden. Die Schulklassen sind mit 40 bis 50 Kindern deutlich größer als bei uns in Deutschland, aber hier haben die Trainer und auch die Lehrer der Klassen in der Regel ein Mikrofon und eine kleine Box umgehängt. Außerdem wird mit eingeübten Kommandos gearbeitet, um die Kinder zur Ruhe zu bringen. Wird es zu laut in der Klasse, ruft der Lehrer ein Kommando, alle Kinder rufen zurück und anschließend ist die Klasse wieder (kurz) ruhig gestellt.
7. Wie wurdest du von Schülern, Trainern und Verantwortlichen aufgenommen?
Die Gastfreundschaft hier ist wirklich sehr extrem. Der Leiter der Schachakademie sorgt sich sehr um mich. Mir wurde eine große Wohnung hier in Bengbu zur Verfügung gestellt und wir gehen sehr häufig gemeinsam essen, mehr als jeden zweiten Tag. Bei den Essen werde ich dann in der Regel den übrigen Verantwortlichen der Schachakademie nach und nach vorgestellt. Auch hat der Leiter der Schachakademie schon 2 Ausflüge mit mir gemacht. Ich finde es toll, dass sie auch abseits des Schachs interessiert sind, mir das Land und die Kultur näher zu bringen.
8. Mit welchen Altersgruppen arbeitest du?
Die Kinder in der Schachakademie sind sehr jung und so sind die Jüngsten etwa 6 Jahre alt, die Meisten sind etwa 10 Jahre alt und nur wenige sind über 12 Jahre alt. Wie ich erfahren habe, liegt das auch daran, dass ab der mittleren Schule die Prüfungen zu wichtig und die Zeit fürs Schach zu wenig werden. Eigentlich schade, denn die Kinder spielen extrem stark für ihr Alter und eine weitere Förderung würde ihnen bestimmt gut tun.
9. Welche Unterschiede zu unserem Training in Deutschland sind dir schon aufgefallen?
Das Training läuft in der Regel so ab, dass zunächst alle Kinder für etwa eine halbe Stunde Taktikaufgaben bearbeiten, wonach es dann ans Spielen geht. Dabei spielen die Kinder gegen vorgegebene Gegner und schreiben auch zwingend mit, denn es ist den Chinesen sehr wichtig, dass ausnahmslos jede Partie umfangreich analysiert wird. Auch wenn uns das in Deutschland auch sehr wichtig ist, finde ich, dass es in China einen noch größeren Stellenwert hat und an der Spielstärke der Kinder gemessen scheint sich das auszuzahlen. Ich muss aber auch sagen, dass viele Kinder Züge spielen, die sie mir beim Nachfragen nicht wirklich erklären können. Mein Gefühl ist, dass sie wissen, dass der Trainer diesen Zug nicht kritisiert, aber dass sie nicht unbedingt den Grund dahinter verstehen. Nach den Partien und dem Analysieren wird dann noch für eine kurze Zeit, etwa 15 Minuten, ein neues Thema beigebracht. Mir wurde erklärt, dass dieses Thema quartalsweise wechselt. In diesem Quartal scheinen die Kinder Endspiele zu lernen, denn egal bei welchem Training werden Bauernendspiele geübt. Ich finde den Trainingsansatz interessant. Gerade durch das viele Spielen der Kinder wird kaum Spielstärke von den Trainern gefordert, während die Kinder viel Spielpraxis ansammeln. Ob die Trainingseinheit am Ende richtig platziert ist, lässt sich sicherlich diskutieren, aber für die Chinesen scheint es zu funktionieren. Vielleicht auch, weil die Kinder etwas mit nach Hause nehmen, über das sie noch länger nachdenken. Aber darüber lässt sich nur spekulieren.
10. Hast du bereits eigene Übungen oder Ideen eingebracht?
Eigene Übungen und Ideen sind schwer einzubringen, da das System des Trainings sehr eingespielt wirkt und nicht wirklich nach neuen Ideen schreit. Allerdings lassen die Chinesen mich in Kindergärten und Schulen meine eigenen Unterrichtsstunden gestalten und da kann ich ein wenig Unterricht nach meinem Geschmack geben. Dabei versuch ich insbesondere alle Kinder mit einzubeziehen und auch Kinder an die Tafel zu bitten, die sich ihrer Antwort nicht unbedingt hundertprozentig sicher sind. Ich mache dies unter anderem, da ein Fehler an der Tafel von einem Kind den anderen Kindern aufzeigen soll, dass es kein Problem ist, etwas nicht zu verstehen, und wir können daraufhin hoffentlich zum besseren Verstehen aller auf den Fehler des Kindes eingehen.
Kultur & Alltag
11. Wie kommst du mit der Sprache zurecht?
Die Sprache ist für mich eine Herausforderung, da die Betonung bestimmter Worte extrem wichtig ist und ich zwar in Deutschland zu Schulzeiten etwas Chinesisch gelernt habe, aber nie wirklich selber gesprochen habe. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass ich mich darin schon etwas verbessert habe, es war zu Beginn aber auf jeden Fall herausfordernd. Das Verstehen von gesprochenem Chinesisch fällt mir aber dennoch sehr schwer. Es passiert mir relativ häufig, dass ich theoretisch alle gesprochenen Worte in einem Satz kenne, allerdings durch das Tempo, in dem gesprochen wird, kein einziges entziffern kann. Durch die Geschwindigkeit beim Reden verschwimmen bei mir im Gehirn die Wörter und ich bin froh, wenn ich einzelne Wörter extrahieren kann. Erschwerend kommt sicherlich hinzu, dass in Bengbu eine Art Akzent gesprochen wird, wobei vor allem die Betonung einzelner Wörter im Vergleich zum Standard-Chinesisch variiert wird.
12. Welche Unterschiede im Alltag zwischen China und Deutschland sind dir bisher am stärksten
aufgefallen?
Im Alltag wird mir auf jeden Fall klar, dass die Leute kaum öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Dabei am häufigsten noch zu sehen sind Taxis und ab und an Busse, aber Fahrräder oder Straßenbahn werden hier kaum benutzt. Stattdessen fahren fast alle mit dem Auto und falls nicht, dann wird mit dem Roller gefahren. Diese Roller haben sogar eine eigene Fahrspur an vielen Straßen, sorgen aber dennoch beim Autofahren für reichlich Chaos, denn es scheint keine wirklichen Verkehrsregeln für die Roller zu geben. Stattdessen scheint jeder das zu machen, mit dem er am schnellsten am Ziel ist und am wenigsten Leuten im Weg ist. Das ist durchaus etwas abenteuerlich, aber funktioniert dennoch sehr gut.
13. Gab es schon eine lustige oder überraschende Situation im Kontakt mit Schülern oder Kollegen?
Jedes Mal, wenn ich in einer Schule oder einem Kindergarten bin, sind die Kinder augenscheinlich überrascht, einen Ausländer zu sehen, und schreien über den Flur und es bildet sich ggf. schnell um mich eine Traube an Kindern, die mich fragt, woher ich komme und etwaige andere Sachen, die ich auf Grund meines nicht allzu guten Chinesisch leider nicht verstehe. Dass die Kinder so reagieren, ist vielleicht nicht wirklich komisch, überrascht mich allerdings jedes Mal aufs Neue und bringt mich etwas in Verlegenheit.
14. Was machst du in deiner Freizeit, wenn du nicht in der Schachschule bist?
Abseits der Schachakademie hab ich in Bengbu tatsächlich nicht viel zu tun. Dies liegt zum einen daran, dass mein Chinesisch nicht wirklich alltagstauglich ist. Dafür müsste ich noch deutlich mehr lernen. Zum anderen ist die Stadt nicht für Fußgänger ausgelegt und da mir der Straßenverkehr zu wuselig ist und ich kein Interesse habe, mich auf einen Roller zu setzen, sind meine Möglichkeiten etwas begrenzt. Allerdings genieße ich es dennoch, etwas zu spazieren, mein Chinesisch zu verbessern und letztendlich ist jeder Einkauf im Supermarkt
ein kleines Training für mein Chinesisch.
Eindrücke von Menschen & Umgebung
15. Gab es Begegnungen mit Menschen, die dich besonders beeindruckt haben?
In der Umgebung beeindruckt mich am meisten, dass es hier anscheinend nur Wolkenkratzer gibt und niemand in einem für Deutschland „normalen“ Haus mit vielleicht zwei oder drei Stockwerken wohnt. Abseits davon finde ich den Chef der Schachakademie beeindruckend und inspirierend. Wie ich erfahren habe, stammt er aus einer ländlichen Gegend, ist nach Bengbu gekommen, und hat alleine die Schachakademie gegründet und entwickelt, zu dem, was sie heute ist.
16. Hast du schon etwas von der Stadt oder Region erkundet?
Die Region zu erkunden ist wegen der Ausrichtung auf Autos und Roller für mich relativ schwierig, aber heute, 23.09., hat der Chef des Schachklubs mit mir einen buddhistischen Tempel und den großen Park am See besucht. Wie ich dann erfahren habe, ist der See in Bengbu der größte See innerhalb einer Stadt in ganz China. Außerdem bildet Bengbu die Grenze zwischen dem nördlichen und südlichen Teil von China. Das gilt sowohl für die Klimazone als auch für die kulturelle Ausrichtung der Region.
17. Wenn du an die ersten drei Wochen denkst – welches Erlebnis fällt dir als Erstes ein?
Wenn ich an meine erste Zeit in China denke, denke ich an den Ausflug nach Nanjing. Der hat mir echt gefallen! Abseits davon denke ich an die vielen Kinder, die begeistert auf mich zugekommen sind. Beispielsweise hat mir ein Mädchen ein Bild geschenkt und auch die anderen Kinder waren unglaublich süß. Diese Erfahrung fand ich unfassbar schön!
Essen & kleine Erlebnisse
18. Welches chinesische Gericht hat dir bisher am besten geschmeckt?
Am besten schmecken mir die Baozi. Das sind chinesische Teigtaschen mit Fleisch oder Gemüse gefüllt. Am ehesten kommen die wahrscheinlich an Maultaschen heran und sie schmecken mir sehr sehr gut. Abseits davon muss ich sagen, dass die chinesische Küche deutlich kreativer als die deutsche Küche wirkt und scheinbar gibt es bei jedem Essen etwas Neues, was ich n och nicht probiert habe.
19. Hast du schon etwas ganz Neues oder Überraschendes gegessen?
Es gibt auf jeden Fall skurrile Gerichte hier. Zum einen gab es schon mehrfach Hühnerfüße und auch wenn ich es probiert habe, kam mir das Gericht schon sehr merkwürdig vor und ich hab es anschließend nicht mehr gegessen. Abgesehen davon gab es eine Riesenschnecke, die in Scheiben geschnitten wurde. Dadurch wirkte das servierte Gericht ähnlich einer Schinkenwurst, aber die Scheiben schmeckten etwas merkwürdig. Vielleicht ähnlich zu Pilzen. Und nachdem ich wusste, was ich dort gegessen habe, hab ich mich nicht besonders gut gefühlt… Heute abend gab es zudem Entenkopf. Auch das ist etwas, was in Deutschland wohl nie serviert werden würde, aber die Chinesen sind nicht besonders zimperlich, wenn es darum geht, welche Teile des Tieres gegessen werden. Den Entenkopf hab ich allerdings nicht probiert, das war mir dann doch etwas zu hart.
Ausblick
20. Worauf freust du dich in den kommenden Wochen am meisten – im Training und im Alltag?
Der Chef der Schachakademie hat mir erzählt, dass er plant, mit mir nach Peking zu reisen. Da Peking relativ weit von Bengbu entfernt ist, wird die Reise wohl etwa 2 bis 3 Tage dauern. Darauf freue ich mich sehr!
Wir danken Louis für seinen ersten Bericht, freuen uns auf weitere Einblicke in die chinesische (Schach-)Kultur und wünschen ihm weiterhin eine gute Zeit!